Das fehlende Element im Produktivitätsversprechen von KI ist organisatorischer Natur. Um das volle Potenzial von KI zu realisieren, müssen Unternehmen Arbeitsabläufe, Rollen und Koordinationsmodelle grundlegend neu denken – ausgerichtet auf eine hybride Zusammenarbeit zwischen Mensch und Agent.
Felix SchlensokApril 3rd, 2025
Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig. Laufend erscheinen neue Modelle mit Rekordleistungen, die Diskussion um AGI bleibt präsent, und neue Chatbots versprechen, ganze Unternehmensbereiche neu zu gestalten. Der Hype ist allgegenwärtig – das Marktumfeld überfüllt mit austauschbaren Versprechen und kaum unterscheidbaren Lösungen.
Doch eigentlich stellt sich nur eine zentrale strategische Frage für Führungskräfte: Sind unsere Organisationen so aufgestellt, dass sie das Potenzial von KI in nachhaltigen, unternehmerischen Mehrwert übersetzen können?
Es liegt nahe, anzunehmen, dass bessere technische Systeme automatisch zu besseren Ergebnissen führen. Viele Unternehmen haben bereits Chatbots oder KI-Agenten implementiert. Aber: Haben diese Lösungen die operative Effizienz tatsächlich signifikant gesteigert? Würde eine sofortige Verdopplung der Leistungsfähigkeit eines Chatbots zu einem spürbaren Produktivitätsschub führen?
In der Praxis lautet die Antwort häufig: nein – oder zumindest: noch nicht. Denn die Herausforderungen liegen weniger im Technologiebereich, sondern vielmehr in der organisatorischen Umsetzung.
Der bloße Einsatz neuer Tools ohne strukturelle Anpassung führt nicht zu Skaleneffekten. Das gilt insbesondere für KI-Agenten: autonome Systeme, die eigenständig Informationen verarbeiten, Entscheidungen treffen und Maßnahmen auslösen – kontinuierlich, in Echtzeit, skalierbar und zu minimalen Grenzkosten. Sie sind 24/7 einsatzbereit, agieren in Millisekunden und können untereinander synchronisiert arbeiten.
Diese Agenten werden nun Teil der Organisation – als digitale Mitarbeitende. Doch unsere heutigen Organisationsstrukturen stammen aus einem anderen Kontext: Sie wurden über die letzten 150 Jahre hinweg für industrielle Prozesse, Bürokratie und menschliche Kapazitäten entwickelt.
Zugleich bleibt Wissensarbeit hochgradig fragmentiert. Prozesse verlaufen über Meetings, E-Mails, Chats und Dokumente hinweg – unstrukturiert, isoliert – und für Maschinen unsichtbar. Die Folge: Agenten können nicht wirksam eingebunden werden.
Transformer-basierte Modelle schaffen hier neue Möglichkeiten. Erstmals ist es möglich, unstrukturierte Daten umfassend zu analysieren. Dadurch wird internes Wissen sichtbar, zugänglich und nutzbar gemacht – ein erheblicher Werthebel.
Doch der eigentliche Fortschritt liegt in der nächsten Stufe: Sobald Informationen strukturiert vorliegen, können Agenten auch in bislang nicht automatisierbare Wissensprozesse eingebunden werden – ein Bereich, der klassischen Automatisierungslösungen verschlossen blieb.
Doch um dies auch zu realisieren, müssen Unternehmen ihr betriebliches Operating Model überdenken. Dazu gehört:
Organisationen, die diesen Wandel erfolgreich gestalten, können sich strategisch differenzieren. Sie schaffen die Grundlage für eine neue Ära der Produktivität. Ein Blick zurück kann helfen, die Dimension dieser Veränderung zu verstehen. Konfuzius sagte: „Um die Zukunft zu erkennen, muss man die Vergangenheit verstehen.“
Bevor analysiert werden kann, wie KI-Agenten Organisationen transformieren, ist ein Blick auf die historische Beziehung zwischen Mensch und Maschine entscheidend – und darauf, warum genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diese Zusammenarbeit neu zu denken.
Über Jahrzehnte hinweg agierten Menschen und Computer in strikt getrennten Bereichen:
Dieses Muster führte zur Entstehung eines zentralen Konzepts in der Automatisierung: „Eskalation“ – der Moment, in dem ein System an seine Grenzen stößt und die Verantwortung zurück an den Menschen übergibt.
Eskalationen waren teuer.
Sie unterbrachen Prozesse, verlangsamten Abläufe und machten sichtbar, wie begrenzt klassische Automatisierung war. Jahrzehntelang versuchten Unternehmen, diese Grenzen zu verschieben – mit regelbasierten Systemen, die immerhin für standardisierte Aufgaben Geschwindigkeits- und Effizienzgewinne brachten.
Aber selbst im Bestfall blieb ein Großteil der Wissensarbeit unberührt. Schätzungsweise 70 % dieser Tätigkeiten konnten nicht automatisiert werden – schlicht, weil sie keine festen Regeln befolgen. Sie erfordern Urteilsvermögen, Kontextverständnis und den Umgang mit Ausnahmen.
Ein Großteil dieser 70 % wird über Sprache abgewickelt – dem flexibelsten und natürlichsten Interface des Menschen:
Diese Aufgaben folgen keinem starren Prozess.
Sie entwickeln sich im Austausch – über Kommunikation, Iteration und Entscheidungen in Echtzeit.
Die breite Nutzung von Tools wie E-Mail, Slack, Teams oder Google Docs ist kein Zufall. Sie spiegelt die Realität der Wissensarbeit wider: Unstrukturiert. Situativ. Sprachgesteuert.
Sobald ein Vorgang nicht mehr in ein Regelwerk passte, versagten die bisherigen Systeme. Der Mensch musste einspringen – vollständig.
Die Automatisierung endete dort, wo Sprache, Interpretation oder Flexibilität gefragt waren.
Diese Systemgrenze ist der Ausgangspunkt für die aktuelle Entwicklung – und erklärt, warum KI-Agenten mit Sprachverständnis, Kontextsensitivität und adaptivem Verhalten so viel verändern können.
Mit dem Aufkommen transformerbasierter KI-Modelle verändert sich das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine grundlegend. Anders als regelbasierte Systeme sind diese Modelle nicht auf starre Eingaben oder lineare Workflows beschränkt. Sie operieren adaptiv, kontextsensitiv und lassen sich auf unstrukturierte Aufgaben ein – auf eine Weise, die menschlichem Denken näherkommt als je zuvor.
Tätigkeiten, die bislang als "Ausnahmen" galten – weil sie auf Urteilsvermögen, Sprache und Unsicherheit basierten – werden jetzt maschinell erfassbar und unterstützbar.
Was früher implizit im Kopf einzelner Mitarbeitender steckte, wird sichtbar, dokumentierbar und organisationsweit teilbar – selbst über personelle Wechsel hinweg.
Das ist ein Durchbruch.
Noch wichtiger: Dieses erfasste Wissen schafft die Grundlage für wirksames Agentenverhalten. Durch Tools wie Vektor-Embeddings, Process-Tracing und Knowledge Graphs können Unternehmen das implizite Know-how, das in täglichen Arbeitsprozessen steckt, strukturiert nutzbar machen.
KI-Agenten agieren nicht mehr entlang fester Regeln.
Sie verstehen den Kontext, lernen aus vorherigen Fällen und binden sich als dynamische Akteure in Workflows ein:
Dynamische Koordination zwischen Mensch und Maschine ist kein Zukunftskonzept mehr – sie ist operativ umsetzbar.
KI-Agenten, die Sprache interpretieren, kontextbezogen handeln und unstrukturierte Aufgaben übernehmen können, sind keine Werkzeuge im klassischen Sinn mehr. Sie sind digitale Kollegen – aktive Beteiligte innerhalb der Organisation.
Ihre Integration zwingt uns, über die Technologie hinauszudenken und die Grundprinzipien von Organisation neu zu bewerten: Warum gibt es Organisationen überhaupt? Und wie entsteht innerhalb dieser Strukturen Effizienz?
Um das volle Potenzial von KI-Agenten zu verstehen, müssen diese Fragen neu gestellt – und neu beantwortet – werden.
Statt bestehende Systeme nachträglich mit KI zu versehen, braucht es Strukturen und Software, die von Grund auf für KI gebaut sind. Organisationen, die:
Das ist der Weg zu einer wirklich AI-nativen Organisation.
Nicht Unternehmen, die KI einsetzen – sondern Unternehmen, die für KI gemacht sind.
Und genau dort liegen die echten >10x-Produktivitätsgewinne: Nicht durch smartere Tools allein – sondern durch ein intelligenteres Zusammenspiel von Struktur, Software und Zusammenarbeit.
Organizations exist to help individuals achieve common goals more effectively than they could working alone.
Organisationen existieren, um es Einzelnen zu ermöglichen, gemeinsame Ziele effizienter zu erreichen, als es allein möglich wäre. Dieses Prinzip ist nicht neu. Schon frühe menschliche Gemeinschaften organisierten sich in Jäger-und-Sammler-Gruppen genau aus diesem Grund: um gemeinsam größere Beute zu erlegen, Ressourcen in Mangelsituationen zu teilen und überlebensrelevantes Wissen über Generationen hinweg weiterzugeben.
Die ökonomische Begründung kam später. 1937 formulierte der Ökonom Ronald Coase die Theorie, dass Organisationen Transaktionskosten senken – also die Reibungsverluste, die durch marktbasierte Koordination entstehen. Doch der Impuls zur Organisation reicht tiefer als ökonomische Rationalität. Er ist in der menschlichen Natur verankert. Menschen bilden instinktiv Gruppen – nicht nur zum Überleben, sondern um Fortschritt zu ermöglichen. Kooperation, nicht Konkurrenz, war häufig der Motor menschlicher Entwicklung. Manche nennen das „survival of the friendliest“.
Ob aus Sicht von Effizienz oder Evolution betrachtet – Organisationen entstehen durch bestimmte Grundprinzipien. Drei Mechanismen sind besonders zentral, sowohl für heutige Strukturen als auch für ihre Transformation durch KI:
Diese drei Prinzipien haben die Organisation über Jahrhunderte definiert. Doch jedes einzelne wird durch den Einsatz von KI-Agenten neu hinterfragt – und neu gestaltet.
Von frühen Stammesstrukturen bis hin zu globalen Konzernen galt stets: Menschen fokussieren sich auf das, was sie am besten können – um den gemeinsamen Output zu maximieren. Dieses Prinzip zieht sich durch alle Epochen:
Spezialisierung bedeutet Effizienz. Das ist keine Meinung, sondern eine rechnerische Notwendigkeit, die auf relativen Stärken basiert.
Mit dem Einzug von KI-Agenten verändert sich dieses Prinzip nicht – es wird zentraler denn je. Der Grund: Die Effizienzunterschiede zwischen den potenziellen Ausführenden einer Aufgabe haben sich vervielfacht.
Das verändert die Logik der Arbeitsteilung fundamental.
In AI-nativen Organisationen reicht es nicht aus, KI einfach einzusetzen – entscheidend ist, welcher Agent welche Aufgabe übernimmt. Fehlallokationen führen nicht mehr nur zu geringerer Effizienz, sondern zu massiven Opportunitätskosten.
Oder positiv formuliert: Organisationen, die Aufgaben präzise entlang der Stärken von Agenten zuordnen, können exponentielle Produktivitätsgewinne realisieren.
KI-Agenten sind leistungsfähig, aber nicht unfehlbar. Abhängig von der Aufgabe können sie gravierende Fehler machen – verursacht durch Lücken im Trainingsdatensatz, Halluzinationen oder fehlenden Echtzeitkontext. Auch wenn große Sprachmodelle in bestimmten Bereichen Menschen um ein Vielfaches übertreffen, schneiden sie in anderen – etwa bei Wahrnehmungsfähigkeit oder gesundem Menschenverstand – deutlich schlechter ab als selbst Kinder.
Diese Varianz ist entscheidend.
Ein Agent mit nur 50 % Genauigkeit erzeugt ein Vertrauensproblem. Wissensarbeiter können sich nicht auf ihn verlassen. Statt echte Aufgaben zu lösen, verbringen sie Zeit damit, fehlerhafte Ergebnisse zu prüfen. Der Agent wird zur Belastung, nicht zur Entlastung.
Genauigkeit hat eine Kettenwirkung.
Die meisten Geschäftsprozesse bestehen nicht aus isolierten Aufgaben, sondern aus miteinander verknüpften Teilschritten. Selbst ein Agent mit 90 % Genauigkeit pro Schritt reicht in der Summe oft nicht aus.
Beispiel: Ein Prozess mit fünf Schritten
Wenn jeder Schritt eine Genauigkeit von 90 % aufweist, ergibt sich:
Mit anderen Worten: In fast der Hälfte der Fälle ist das Endergebnis falsch.
Nicht weil der Agent prinzipiell unbrauchbar wäre, sondern weil reale Systeme keine Fehlerkumulierung tolerieren.
Das unterstreicht einen zentralen Punkt: Vollständig autonome End-to-End-Prozesse sind in der Praxis selten. Der Mensch bleibt Anfangs- und Endpunkt jedes Systems. KI kann Arbeitsabläufe grundlegend verändern – aber menschliche Kontrolle, Einschätzung und Entscheidungskompetenz bleiben unverzichtbar, insbesondere an Systemgrenzen und bei kritischen Entscheidungen mit hoher Wirkung.
So, what’s the path forward?
Die Zukunft ist nicht „agent-first“. Sie ist „task-first“. Entscheidend ist, jeder Aufgabe den passenden Akteur – Mensch oder Agent – situationsabhängig zuzuweisen.
Zusammenfassung: Spezialisierung erfordert Koordination
Mehrere zentrale Prinzipien lassen sich festhalten:
Damit verdeutlicht auch die Perspektive auf zwei grundlegende Hebel organisatorischer Effizienz:
Werden Agenten konsequent dort eingesetzt, wo sie nachweislich überlegen sind – und mit passenden Tools, Modellen und Konfigurationen unterstützt –, ergibt sich ihre Integration in menschliche Arbeitsabläufe ganz natürlich.
Diese Integration erfordert dynamische Koordination.
Agenten agieren nicht isoliert. Ihre Ergebnisse beeinflussen Folgeprozesse – häufig unter Einbeziehung menschlichen Urteils. Umgekehrt dienen menschliche Eingaben oft als Auslöser oder Einschränkungsrahmen für Agentenhandlungen. Die Interaktion ist wechselseitig und situativ.
Deshalb wird Echtzeit-Orchestrierung zum entscheidenden Element – keine starren Übergaben, keine separierten Schnittstellen in Form von Chatbots, sondern adaptive Zusammenarbeit:
Ein System, in dem Aufgabenverteilung sich flexibel an Kontext, Sicherheitsniveau und komparativen Stärken orientiert.
Koordination ist kein neues Konzept – zumindest nicht im menschlichen Kontext. Bereits 1947 schrieb James Mooney in The Principles of Organization, dass jede Organisation auf der „klaren, geordneten Abstimmung spezialisierter Leistungen beruht, sodass jeder Teil effektiv zum gemeinsamen Ziel beiträgt“. Koordination ist damit kein optionales Element, sondern eine grundlegende Voraussetzung für echte Effizienz.
Die zugrunde liegende Logik ist einfach:
Spezialisierung erzeugt Abhängigkeiten – und diese Abhängigkeiten erfordern Koordination.
Mit dem Einzug von KI-Agenten wird dieses Prinzip noch bedeutender.
Wenn sich der komparative Vorteil einzelner Komponenten um das 10-, 50- oder gar 100-Fache erhöht, steigt auch der Wert effektiver Koordination exponentiell.
Gleichzeitig wächst die Herausforderung.
Koordination zwischen Mensch und Agent wird nicht nur wichtiger, sondern deutlich komplexer.
Diese Entscheidungen sind nicht statisch.
Sie hängen vom Aufgabentyp, der geforderten Genauigkeit, der aktuellen Situation, den verfügbaren Daten und den jeweiligen Ressourcenkosten ab.
Was vor einer Stunde optimal war, kann im nächsten Moment ineffizient sein.
Die Koordinationsebene selbst wird damit dynamisch und rekursiv – ein fortlaufendes Optimierungsproblem.
Ohne die passende Infrastruktur für diese Art der Orchestrierung – Systeme, die Aufgaben in Echtzeit zuweisen, Leistung überwachen und Konfigurationen kontinuierlich anpassen – steigt die Komplexität schneller als der Nutzen. Selbst mit hochentwickelter KI wird fehlende Koordination zum Engpass.
Potenzial wird nicht realisiert, sondern blockiert – durch Reibungsverluste statt Fortschritt.
Die Lösung der Koordinationsherausforderung beginnt mit der Erschließung jener 70 % der Arbeit, die bisher außerhalb des Anwendungsbereichs klassischer Automatisierung lagen. Im Gegensatz zu früheren Systemen, die auf strukturierte Abläufe beschränkt waren, ermöglichen moderne KI-Modelle – insbesondere transformerbasierte Architekturen – erstmals, auch unstrukturierte und implizite Wissensarbeit sichtbar und verwertbar zu machen.
In Kombination mit den 30 % bereits gut strukturierter Prozesse entsteht ein Weg zu vollständiger Workflow-Transparenz. Durch den Einsatz von Vektor-Embeddings, Prozess-Spuren und adaptiven Wissensgraphen lässt sich operatives Wissen, das in alltäglicher Arbeit quer über Teams und Funktionen hinweg eingebettet ist, systematisch abbilden.
Diese Sichtbarkeit bildet die Grundlage für einen entscheidenden nächsten Schritt: die intelligente Aufgabenorchestrierung.
Für jeden Prozessschritt kann nun differenziert analysiert werden:
Das Ergebnis ist ein System, das Aufgaben dynamisch über Menschen und Agenten verteilt – leise und reibungslos im Hintergrund. Nicht als starre Automatisierungspipeline, sondern als responsives, adaptives Steuerungssystem.
Agenten sind nicht länger auf vorprogrammierte Routinen beschränkt. Mit dieser Struktur erhalten sie eine operative Blaupause, um sich direkt in reale Workflows zu integrieren:
Damit wird das Konzept dynamischer Mensch-Agent-Kollaboration zur operativen Realität.
Durch gezielten Einsatz des bis zu 100-fachen Spezialisierungsvorteils von Agenten genau dort, wo er den größten Nutzen stiftet – bei gleichzeitiger Beibehaltung menschlicher Kontrolle in komplexen, entscheidungskritischen Situationen – lassen sich Effizienz und Steuerungsfähigkeit gleichzeitig maximieren.
Gleichzeitig stellt sich die Frage nach Führung.
Sobald Agenten im Einsatz sind, können Aufgaben automatisch zugewiesen werden. Doch Delegation ist nur ein Teil von Management.
Echte Führung umfasst deutlich mehr:
Während IT-Abteilungen die zugrunde liegende Infrastruktur verwalten und ein zentrales KI-Team Werkzeuge, Templates und Support bereitstellen kann, liegt die operative Verantwortung im Alltag nicht im Technologiebereich – sondern in den Fachbereichen selbst.
Die Lösung besteht nicht darin, Steuerung zentral in einer KI-Abteilung zu bündeln oder auf eine autonome AGI zu warten.
Die eigentlichen Führungskräfte von KI-Agenten sind die heutigen Fachbereichsleiter.
Sie definieren bereits Ziele, führen Teams und treffen operative Entscheidungen. Sie kennen die Abläufe, setzen Prioritäten und führen – entscheidend – über Sprache. Damit sind sie optimal positioniert, um auch Agenten auf dieselbe Weise zu steuern wie menschliche Teammitglieder.
Wie bei einer neuen Kollegin oder einem neuen Kollegen können Manager:
Keine IT-Tickets. Keine Wartezeiten.
Der Agent reagiert, lernt und passt sich an – wie ein neues Teammitglied im Onboarding-Prozess.
Diese Herangehensweise erfordert einen einfachen, aber entscheidenden strukturellen Schritt: Die Aufbauorganisation muss weiterentwickelt werden.
Agenten sollten darin sichtbar sein – nicht als externe Tools, sondern als integrierte, zugewiesene Bestandteile des Teams.
Damit lassen sich zentrale operative Fragen klar beantworten:
Wie bei menschlichen Mitarbeitenden muss auch für Agenten rollenbasierter Zugriff gelten. Beispiel:
Im kleinen Rahmen mag dies noch kontrollierbar erscheinen. Doch mit wachsender Agentennutzung über Abteilungen hinweg ist eine skalierbare Lösung nur über ein strukturiertes Modell von Zuständigkeit und Aufsicht möglich.
Die Integration von Agenten in die Aufbauorganisation – inklusive Berichtslinien, Zugriffsrechten und klarer Verantwortlichkeit – schafft genau diese Skalierbarkeit.
Dabei geht es nicht nur um technische Systeme. Es geht um Führung.
Und sie beginnt mit der Ausstattung von Fachverantwortlichen mit der Autorität und den Instrumenten, um eine neue Form von Teammitgliedern wirksam zu führen.
Nach der Betrachtung von Spezialisierung und Koordination folgt das dritte Fundament organisatorischer Effizienz: die Standardisierung.
Überall dort, wo Prozesse wiederkehrend ablaufen, reduziert Standardisierung den Aufwand für Einzellösungen. Sie schafft Konsistenz, Skalierbarkeit und Verlässlichkeit – insbesondere in großen, komplexen Organisationen.
Ein historisches Beispiel verdeutlicht dies: die römische testudo-Formation („Schildkröte“). Soldaten nutzten identische Schilde, die so gestaltet waren, dass sie sich nahtlos verbinden ließen. Die Formation erforderte keine individuelle Anpassung – lediglich die Einhaltung gemeinsamer Gestaltungsvorgaben und exakter Koordination. Das Ergebnis: präzises Handeln unter Druck.
Forschung stützt diesen Befund. Studien von Inkson et al. (1970) und Child (1972b) zeigen, dass standardisierte Prozesse Komplexität beherrschbar machen, Unsicherheiten reduzieren und gleichbleibende Ergebnisse ermöglichen – vor allem bei großem organisatorischem Maßstab.
Dieses Prinzip wurde in der industriellen Revolution konsequent weitergedacht: Effizienz wurde durch die Zerlegung von Arbeit in wiederholbare, mechanische Aufgaben maximiert. Einheitlichkeit steigerte den Output – oft jedoch auf Kosten von Anpassungsfähigkeit und Innovation.
Später wurde dieses Denken auf Wissensarbeit übertragen – in Form von Standard Operating Procedures (SOPs). Diese boten Struktur in ansonsten unstrukturierten Umfeldern. Doch auch hier zeigten sich schnell Grenzen.
Die meisten Tätigkeiten in der Wissensarbeit folgen keinem festgelegten Drehbuch. Sie bewegen sich in dynamischen Kontexten, mit sich verändernden Zielen und fluiden Kollaborationsformen. SOPs sind in eng umrissenen Anwendungsfällen hilfreich – aber sie übernehmen dieselben Einschränkungen wie starre Automatisierungssysteme: Sie veralten rasch und schränken zwei entscheidende Erfolgsfaktoren langfristig ein – Flexibilität und Kreativität.
Die Antwort lautet: ja – aber nicht in der bisherigen Form.
Rund 30 % der Aufgaben in Unternehmen folgen klaren, wiederholbaren Mustern ohne Ausnahmen. Diese Tätigkeiten eignen sich ideal für klassische Automatisierung. Sie sind bereits standardisiert, optimiert und lassen sich mit hoher Verlässlichkeit ausführen. Es besteht kein Anlass, funktionierende Abläufe neu zu erfinden.
Die verbleibenden 70 % – jene Aufgaben, die sich nicht in starre Prozesse pressen lassen – sind jedoch grundlegend anders.
Sie sind geprägt von Nuancen, sich wandelnden Kontexten und menschlichem Urteilsvermögen.
Historisch waren sie zu komplex, um softwaregestützt bearbeitet zu werden.
Das hat sich geändert.
Moderne KI-Systeme können Sprache interpretieren, Kontext erfassen und aus Erfahrung lernen. Damit entsteht eine neue Form der Standardisierung – eine, die adaptiv und kontextsensitiv ist.
Auf den ersten Blick scheint das ein Widerspruch. In Wahrheit entspricht es genau dem, wie erfahrene Wissensarbeiter handeln:
Bei neuen Aufgaben wird nicht bei null begonnen.
Stattdessen greifen Menschen auf Erfahrung, Training und frühere Fälle zurück.
Sie erkennen Muster, unterscheiden Regel von Ausnahme und passen sich an.
Auch das ist Standardisierung – nur nicht in Form starrer Regeln, sondern als lebendiges, flexibles Handeln auf Basis von Erfahrungswerten.
Erstmals kann Software nun genauso agieren. KI-Agenten lernen aus organisationalen Spuren – E-Mails, Chats, Dokumenten, SOPs, ERP-Protokollen – und, noch wirkungsvoller, durch direkte Interaktion und Feedback der Mitarbeiter.
Mit Zugang zu diesem Wissen können sie:
In diesem Modell wird dokumentiertes menschliches Erfahrungswissen zur Basis für Automatisierung. Durch das Erfassen und Strukturieren von Organisationswissen entsteht eine Grundlage, auf der Agenten gezielt, präzise und kontextbewusst agieren. Sie handeln nicht mehr im Blindflug – sondern auf der gleichen Erfahrungsbasis, auf der menschliche Experten Entscheidungen treffen.
Ein Großteil der Agentenaufgaben wird sich wiederholen – und sich im Laufe der Zeit von selbst standardisieren. Doch bei Abweichungen bricht das System nicht – es passt sich an. Genau das ist der Paradigmenwechsel.
Und dieser Wandel erklärt auch, warum nicht KI-Experten, sondern Fachbereichsverantwortliche die richtigen Führungskräfte für Agenten sind.
Sie wissen bereits, wie neue Mitarbeitende eingearbeitet, angeleitet und gesteuert werden. Diese Prinzipien lassen sich nun auf KI-Agenten übertragen.
Die Technologie ist vorhanden. Die verantwortlichen Personen sind es ebenfalls.
Die Unternehmen, die frühzeitig beginnen – ihr Wissen erfassen, strukturieren und verfügbar machen – erschließen den vollen Nutzen agentenbasierter Spezialisierung.
Sie gewinnen an Geschwindigkeit, Präzision und Effizienz – bei gleichzeitiger Wahrung strategischer Kontrolle in menschlicher Hand.
Das Ergebnis?
Eine deutlichere Trennlinie zwischen denen, die vorausgehen – und allen anderen.